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Im Krankenhaus: Die Chirugische Universitätsklinik Göttingen

Behandlung

Allein in der Göttinger Chirurgie wurden zwischen 1939 und 1945 weit über 300 Behandlungen Zwangsarbeitender vorgenommen. Diese bilden nur einen Teil aller Zwangsarbeitenden, die in Göttingen an den Universitätskliniken medizinisch versorgt werden mussten.

Eine Auswertung der Krankenakten zeigt folgende Verteilung: 79 behandelte männliche Zwangsarbeiter kamen aus Polen, 53 aus Frankreich, 23 Patienten stammten aus den Niederlanden, ebenso viele aus Italien. Aus Belgien kamen 16 und aus Tschechien 13 der eingelieferten Männer. Dagegen gab es nur 16 stationäre Behandlungen von russischen und ukrainischen Zwangsarbeitern, obwohl der Anteil von Arbeitskräften aus diesen beiden Ländern an der Gesamtzahl wesentlich höher lag. »Ostarbeiter« wurden von den Lagerärzten bevorzugt vor Ort versorgt und nur bei schwersten Verletzungen in die Kliniken überwiesen.

Die Mehrzahl der ausländischen Patientinnen der Chirurgischen Klinik, insgesamt 33, stammte aus Polen. Die Jüngste war mit knapp 16 Jahren die Polin Czeslawa Z. Sie wurde in den Akten als Arbeiterin in Knutbühren geführt und im November 1940 mit einer akuten Blinddarmentzündung in die Klinik gebracht. Die Entlassung erfolgte bereits nach sieben Tagen, was nicht der damals üblichen Erholungszeit nach einem operativen Eingriff entsprach.

Eduarda F., 17-jährige polnische Hilfsarbeiterin im Friedrichsstift in Uslar, wurde am 6. Juli 1940 mit schwersten Verletzungen in die Klinik gebracht. Sie hatte sich eine Schädelbasisfraktur, eine komplette Fraktur des rechten Unterarms, eine Luxationsfraktur des linken Ellbogengelenks und stumpfe Bauchverletzungen zugezogen. Die junge Frau war aus dem Fenster ihrer höher gelegenen Unterkunft gesprungen, in der Absicht, sich das Leben zu nehmen. Die Hintergründe des Suizidversuchs sind nicht bekannt. Deutlich wird jedoch, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen für junge Menschen in Deutschland als so prekär empfunden wurden, dass sie zu solchen Handlungen führen konnten. Es ist den Ärzten letztlich gelungen, Eduarda F. das Leben zu retten. Sie wurde am 4. September 1940 entlassen. Ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt.

Die Kranken

Die Untersuchung des Einzugsgebietes ausländischer Patienten ergab, dass der Großteil der Betroffenen – über 100 der eingelieferten Zwangsarbeitenden – in Göttingen arbeitete. Gleich große Kontingente kamen aus dem Gebiet des heutigen Landkreises Göttingen sowie aus den nördlich gelegenen damaligen Kreisen Uslar und Northeim. Über 60 zu Versorgende wurden aus dem weiteren Reichsgebiet überwiesen.

Die größte Gruppe der stationär Behandelten, insgesamt 145 Zwangsarbeitende, kam mit Verletzungen durch Arbeitsunfälle in die Klinik. Es folgten Organerkrankungen mit 101 Einweisungen, überwiegend Blinddarmentzündungen. Der Großteil der infektionskranken Zwangsarbeitenden – mindestens 52 von ihnen wurden chirurgisch versorgt – war den schlechten hygienischen Umständen in den Lagern ausgesetzt.

1943 wurde in der Nähe der Goßlerstraße eine externe »Ausländerbaracke« zur Krankenbehandlung eingerichtet. Grundlage war eine Regierungsanweisung, Zwangsarbeitende von Deutschen bei der Behandlung zu trennen. Nachdem diese Doktrin anfangs des Öfteren unterlaufen wurde, hielten sich die Verantwortlichen der Klinik mit fortschreitendem Kriegsverlauf an die Vorgaben. Die Zwangsarbeitenden in der Baracke wurden von einem dienstverpflichteten tschechischen Arzt medizinisch notdürftig versorgt.

Chirurgische Klinik Göttingen Behandlungen von Ausländern nach Herkunftsländern:


 

Chirurgische Klinik GöttingenBehandlungen nach Einzugsgebiet:

 

Chirurgische Klinik Göttingen Behandlungen von Ausländern nach Diagnosen:

Quellen: Arbeitsgruppe »Medizin und Zwangsarbeit« in der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen