Textgröße:  A   A+ A++

Polen

Stefania Jadwiga Włodarczyk

[Dieser Text kommt aus Polen]

Stefania Jadwiga Włodarczyk wird am 28. Juli 1934 in Warszawa (Warschau) geboren. Als Stefania fünf Jahre alt ist, bricht der Zweite Weltkrieg aus. Die nächsten fünf Jahre der deutschen Besatzung werden sowohl für ihre Familie als auch für die meisten Polen von ständiger Angst und Terror geprägt sein. Sie wohnt gemeinsam mit ihren Eltern Julian und Anna Włodarczyk und ihren drei Geschwistern in dem Warschauer Stadtteil Wola. Stefanias Vater ist Klempner und verlegt in Warschau Wasserleitungen für die städtischen Wasserwerke. Ihre Mutter arbeitete bis zu ihrer Heirat in einer Fabrik, jetzt kümmert sie sich um den Haushalt und die Kinder.

Als Stefania sieben Jahre alt ist, kommt sie in die erste Klasse. Sie geht zusammen mit ihrer drei Jahre älteren Schwester Krystyna in die Grundschule in der Miedziana-Straße. Als die Rote Armee kurz vor Warschau steht, bricht am 1. August 1944, vier Tage nach Stefanias zehntem Geburtstag, der Warschauer Aufstand der polnischen Heimatarmee gegen die deutschen Besatzer aus. Nach über zweimonatigen Kämpfen blutig niedergeschlagen wird. »Ich erinnere mich, dass wir nicht aus dem Haus gehen konnten, weil draußen geschossen wurde.«

Am 4. August 1944 bewerfen deutsche und ukrainische Soldaten ihr Haus mit Granaten. »Danach befahlen uns die Deutschen (meine Familie bestand zu dem Zeitpunkt aus meinen Eltern und fünf Kindern zwischen sieben Monaten und 13 Jahren) und allen anderen Hausbewohnern, das Haus zu verlassen und sich im Hof zu versammeln. Wir durften keinerlei Sachen aus der Wohnung mitnehmen. Als alle draußen waren, wurde unser Haus angezündet. So wie ich da stand, gekleidet nur in mein Sommerkleid, trieben uns die Deutschen zum Warschauer Westbahnhof. Wer das Tempo nicht mithalten konnte, wurde auf der Stelle erschossen«, erinnert sich Stefania Wlodarczyk 2009. Am Bahnhof steht bereits ein leerer Zug, der die Menschen in das Durchgangslager nach Pruszków bringt.

Wiktoria Delimat

[Dieser Text kommt aus Deutschland]

Wiktorja Delimat wächst auf einem Bauernhof im Dorf Nienaszów bei Jasło auf. Sie hat sieben ältere Geschwister. Der Hof ihrer Eltern ist groß, ein eigener Wald gehört dazu, viele Menschen arbeiten dort. Wiktorja geht zur Schule und hilft auf dem Hof. Doch mit dem deutschen Überfall auf Polen ändert sich alles: Die Schule wird geschlossen. Die Besatzer verhaften sämtliche jüdischen Einwohner des Dorfes. Dann verpflichten sie Wiktorjas Bruder Albin als Metzger zur Wehrmacht. Im Januar verhaften sie ihren Bruder Marcel auf offener Straße und deportieren ihn zur Zwangsarbeit nach Deutschland.

Im März 1940 kommen die Besatzer schon zum vierten Mal. Sie verlangen, dass jede Familie eine Person zur Zwangsarbeit nach Deutschland herausgibt. Wiktorjas Mutter weigert sich, doch die Deutschen kommen mit Gewalt und zwingen Wiktorja auf einen LKW, mit dem sie und die Mitgefangenen zum Bahnhof transportiert werden.

Die Besatzer holen auch noch Wiktorjas Eltern und geben ihren Hof einem Deutschen. Während der Zwangsarbeit in Berlin kommen die Eltern ums Leben. Der Hof und das gesamte Dorf verbrennen im Krieg. Das alles erfährt Wiktorja erst viel später.

Vor dem Überfall

[Dieser Text kommt aus Polen]

Nach über 120 Jahren Fremdbestimmung und politischer Nichtexistenz gab es seit dem Ende des Ersten Weltkrieges Polen wieder als einen souveränen Staat. Die II. Polnische Republik (1918-1939) war das sechstgrößte Land Europas. Es war ein Vielvölkerstaat, in dem die Polen mehr als 68% der 35,1 Mio. Einwohner ausmachten. Nach der Volkszählung von 1931 bezeichneten sich 13,9% der Bürger mit polnischer Staatsangehörigkeit als Ukrainer, 9,8% als Juden, 3,1% als Weißrussen, 2,3% als Deutsche und 2,8% als Angehörige anderer Nationalitäten. Von der Landwirtschaft lebten 65%, von Bergbau und Industrie 17%, von Handel und Versicherungswesen 6%, von der Verwaltung 4%, vom Transport 3% und von anderen Zweigen der Wirtschaft 5% der polnischen Bevölkerung.

Die größten und wichtigsten Industriezentren befanden sich in Oberschlesien – Bergwerke, Hütten und die verarbeitende Industrie – sowie in Zentralpolen, in der Zentralen Industrieregion (COP). Die Gebiete Großpolens und Pommerns waren hoch entwickelte Agrarregionen. Die wirtschaftlich und landwirtschaftlich am schwächsten entwickelten Gebiete lagen im Osten Polens.

In den Jahren zwischen den Weltkriegen war Frankreich Polens engster Verbündeter. Die geografische Lage Polens – im Westen Deutschland, im Osten die Sowjetunion – verlangte die Sicherung gutnachbarschaftlicher Verhältnisse zu diesen Staaten. So wurde 1932 mit der Sowjetunion und 1934 mit Deutschland ein Nichtangriffspakt abgeschlossen.

Am 23. August 1939 vereinbarte Deutschland mit der Sowjetunion einen Nichtangriffspakt (»Hitler-Stalin-Pakt«), dessen Geheimprotokoll eine Teilung Polens unter den beiden Großmächten vorsah. Im Zuge des deutschen Angriffs auf Polen am 1. September 1939 besetzte Deutschland die westlichen und zentralen und am 17. September 1939 die Sowjetunion die östlichen Gebiete Polens. Damit begann für die polnische Bevölkerung, von der allein ca. 8% zur Zwangsarbeit ins »Dritte Reich« deportiert wurden, ein fast sechs Jahre dauernder Terror und Schrecken.