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Giuseppe Chiampo – IMI in Hilkerode

Bei Giuseppe Chiampos Ankunft im »Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager« (Stalag) Fallingbostel treibt ein faschistischer Offizier 2.500 Italiener zusammen, um sie für den Kampf an der Seite der Deutschen zu gewinnen. Nur 15 willigen in den Aufruf zur Rekrutierung ein. Die Mehrheit der Soldaten wählt lieber das Gefängnis als den Krieg. In den folgenden Tagen wird die Frage wiederholt – mit dem gleichen Ergebnis.

Giuseppe Chiampo wird fotografiert und bekommt die Nummer 151896. Am 30. September 1943 wird er mit weiteren 150 Männern in Lastwagen nach Hilkerode transportiert und dort in einer von Stacheldrahtzaun umgebenen Baracke untergebracht.

Giuseppe und seine Kameraden bewegen sich, in Reih und Glied aufgestellt und von Aufsehern bewacht, am 4. Oktober nach Rhumspringe, wo die Gebäude der Otto-Schickert-Werke emporragen. Er arbeitet zunächst als Elektriker. Schlechter ergeht es den anderen IMI, die dazu gezwungen sind, ohne Handschuhe und entsprechende Kleidung Zement zu schaufeln und zu transportieren.

Auf der Skala der Ausbeutung, welche nach politischen, ökonomischen und rassistischen Kriterien definiert wird, befinden sich die italienischen Zwangsarbeiter fast auf der gleichen Ebene wie die Gefangenen der Roten Armee der UdSSR. Die Italiener erhalten lediglich eine Suppe aus Raps und Kartoffeln sowie ein Stück Brot und ein bisschen Margarine. Giuseppe kann sich nur Gott und seinem Tagebuch anvertrauen, welches er heimlich führt und argwöhnisch bewacht.

Er hat Glück und kann als Schreiber in der warmen Baracke bleiben, um die Listen der neu in Hilkerode eintreffenden Häftlinge zu erstellen. Eine Aufgabe, die ihn vor der Arbeit in der Fabrik bewahrt. Er erkennt seine privilegierte Situation, wenn er die Mithäftlinge am Abend, völlig erschöpft von der Arbeit und den Schikanen, denen sie ausgesetzt sind, zurückkehren sieht. Sie werden wie Sklaven behandelt.

 

Giuseppe Chiampo teilt das Elend im Lager, erleidet die Durchsuchungen nach versteckten Kartoffeln und Raps, die Bestrafungen, die Demütigung durch die unzureichenden und untragbaren hygienischen Zustände und nicht zuletzt den Befall durch Läuse. Resignation und Schmerz bestimmen das Klima.

Giuseppe arbeitet als Schreiber in der Krankenstation des Lagers und bemüht sich Deutsch zu lernen. Vor seinen Augen sterben die IMI, vom Hunger entkräftet oder an Tuberkulose erkrankt. Im Januar 1944 vermerkt er die Zahlen der Tragödie in seinem Tagebuch: Von 445 Gefangenen sind 55 in die Krankenbaracke verlegt worden, 180 haben Krankheiten aufgrund von Unterernährung. Im darauf folgenden März sind es bereits 113 Gefangene, die in die Krankenbaracke verlegt wurden. Die Situation verbessert sich leicht durch eine Erhöhung der Essensration und durch die Ankunft der ersten italienischen Pakete.

Ende August 1944 beschert die offizielle Statusumwandlung in »Zivilarbeiter« den Gefangenen ein wenig Freiheit und fördert die Beziehungen zur deutschen Bevölkerung, aber gleichzeitig wachsen die Kriegsschwierigkeiten.

Im November wird Giuseppe Chiampo zum Vertrauensmann im Lager ernannt. Er ist entschlossen seine Rolle zu nutzen, um die Situation der Italiener zu verbessern, und trifft in Hannover die Funktionäre von Mussolinis Repubblica sociale italiana und in Berlin den Besitzer der Schickert-Werke. Trotz seiner Bemühungen ändert sich die Situation nicht.

In den angespannten Tagen, die der Befreiung vorausgehen, gründet er ein »Notfallkomitee«, welches jederzeit bereit ist, Entscheidungen zu treffen und sich den kommenden Ereignissen zu stellen. Er ist nicht vom Wunsch nach Rache beseelt, aber er will Gerechtigkeit im Gedenken an zehn in Hilkerode bestattete Mitgefangene und an die erlittenen Qualen.

Am 11. April kommen amerikanische Truppen. Giuseppe hisst, von der allgemeinen Freude ergriffen, spontan die italienische Flagge auf der Baracke. Er nimmt auch an der Verwüstung der Baustelle der Fabrik teil, die Treibstoff für Hitlers Waffen produzieren sollte. Diese Produktion war nur durch die Ausbeutung tausender Zwangsarbeiter möglich.

In dem Chaos, das auf die Befreiung folgt, übernimmt Giuseppe die Führung seiner Gruppe und organisiert die Evakuierung der 200 Italiener, die in Hilkerode geblieben sind. Er geht mit ihnen zu Fuß Richtung Süden.