In den Polte-Werken Duderstadt
Kurz nach Kriegsbeginn ließ das Magdeburger Rüstungsunternehmen Polte ein Zweigwerk in Duderstadt errichten. Während der etwa zweijährigen Bauphase waren hier ca. 600 ausländische Zwangsarbeitende, fast alles Männer, für diverse Baufirmen im Einsatz. Sie wurden im neu errichteten Barackenlager »Am Euzenberg« untergebracht.
Gegen Ende 1941 begann die Produktion bzw. Befüllung von Patronenhülsen und Zündern. »Dienstverpflichtete« Frauen aus dem Eichsfeld, freiwillige und gepresste Arbeitskräfte aus allen Teilen Europas (auch aus mit Deutschland verbündeten Staaten), Arbeitskommandos französischer Kriegsgefangener und »Italienischer Militärinternierter« und seit November 1944 ein Außenkommando des KZ Buchenwald produzierten hier ca. 800.000 Geschosse im Monat. Ein weiteres Barackenlager, das »Lager Westerborn«, und die nagelneuen Gebäude der Möbelfabrik Steinhoff dienten zur Unterbringung der Arbeitskräfte, darunter etwa 1.200 ausländische zivile Zwangsarbeitende.
Leokadia Adamkiewicz ist 16, als sie im April 1942 aus ihrem Heimatort Łuczyce bei Kowel im sowjetisch besetzten Teil Polens im Güterzug nach Duderstadt verschleppt wird. Alle Frauen aus ihrem Transport kommen ins Barackenlager. Man fotografiert sie, nimmt die Fingerabdrücke und verpasst jeder eine Nummer, die ihren Namen ersetzen soll. Leokadia muss die Nummer 8207 zusammen mit dem »OST«-Abzeichen ständig tragen. Sie arbeitet in der Hülsenherstellung, produziert Schießpulver und wickelt Drähte. Anweisungen erteilt der Duderstädter Meister, der die Zwangsarbeiterinnen auch kontrolliert und manchmal schlägt. Die Wachen am Lagertor passen auf, ob sie das Abzeichen trägt.
In ihren 12-Stunden-Schichten gibt es nur eine viertelstündige Frühstücks- und eine halbstündige Mittagspause mit Kaffee bzw. Suppe. Abends bekommt Leokadia einen Viertellaib Brot und einen halben Liter dünner Suppe. Zum Hunger kommt die mangelhafte Kleidung: Holzschuhe, Rock, Jacke. Einmal stiehlt Leokadia einen Vorhang und näht sich daraus einen Rock. Ein Mal im Monat kann sie ihrer Mutter eine Postkarte schicken, manchmal erhält sie eine Antwort. Für die Arbeit bekommt sie monatlich 11 Mark ausgezahlt. 1944 überfährt ein Franzose sie versehentlich im Werk. Leokadias Verletzungen an Hand und Fuß werden im Duderstädter St. Martini-Krankenhaus behandelt.
Im Oktober 1944 wird Leokadia Adamkiewicz zusammen mit anderen Zwangsarbeiterinnen in die Heeresmunitionsanstalt in Volpriehausen versetzt. Die Frauen machen Platz für Häftlinge eines KZ-Außenkommandos.
In der Heeresmunitionsanstalt Volpriehausen
In der Heeresmunitionsanstalt in Volpriehausen arbeitet Leokadia Adamkiewicz erneut in der Rüstungsproduktion. Dieses Mal muss sie Schießpulver herstellen. Die Arbeit findet unter Tage statt, im früheren Kalisalzbergwerk »Wittekind-Hildasglück«. Hier unten wird auch die Mahlzeit während der zwölfstündigen Arbeitszeit eingenommen. Die Unterbringung erfolgt oberirdisch in einem Barackenlager mit sechs Personen pro Raum. Eine Deutsche bewacht die Baracke.
Die »Muna« in Volpriehausen war eine von vielen im Zuge der Aufrüstung geschaffenen Munitionsanstalten im Reich. Die unterirdische Produktion und Lagerung von Munition sollte vor der Beeinträchtigung durch Luftangriffe schützen und war zudem platzsparend. Ab 1942 wurden in Volpriehausen in großem Umfang Kartuschen und Granaten hergestellt und gelagert. Auch eine »Instandsetzungswerkstatt« für Waffen und optische Geräte des Heeres-Zeugamtes Hannover wurde hierher ausgelagert. Neben weiblichen »Dienstverpflichteten« – darunter etliche Ensemblemitglieder der Theater in Göttingen und Hannover – und Angehörigen des »Reichsarbeitsdienstes« aus Deutschland mussten hier ca. 300 Zivilarbeitende aus Polen, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und der Sowjetunion arbeiten. Ferner waren je 30 sowjetische und französische bzw. marokkanische Kriegsgefangene, etwa 20 »Italienische Militärinternierte« und ein bis zu 200 Mann starkes Außenkommando des Jugend-KZ Moringen über und vor allem unter Tage beschäftigt.
Leokadia Adamkiewicz muss in ihrer Holzbaracke etliche Luftangriffe miterleben. Sie hat Angst um ihr Leben. Nach einem heftigen Angriff um Neujahr 1945 herum verschickt man sie und ihre Leidensgefährtinnen nach Northeim.
Die »Muna Volpriehausen« wurde am 10. April 1945 von amerikanischen Truppen eingenommen. Im September 1945 kam es in dem Bergwerk, in dem neben großen Mengen Munition auch etliche Kulturgüter und NS-Beutegüter lagerten, zu heftigen Explosionen, die die Anlagen zerstörten. Hierbei kamen fünf ehemalige Zwangsarbeitende aus Polen und zwei Feuerwehrleute ums Leben.
In der Maschinenfabrik Anton Piller, Werk Northeim
Im Januar 1945 wird Leokadia Adamkiewicz mit einigen anderen »Ostarbeiterinnen« nach Northeim verbracht. Dort müssen die jungen Frauen im »Werk III« der Firma Anton Piller Flugzeugteile herstellen. Eine Arbeitsschicht dauert zwölf Stunden.
Die Unterbringung der Zwangsarbeiterinnen erfolgt in Baracken auf dem Gelände der Zuckerfabrik, in direkter Nachbarschaft eines Lagers für sowjetische Kriegsgefangene. Bei den häufigen nächtlichen Luftangriffen rennt Leokadia Adamkiewicz mit den anderen zusammen aus der Baracke auf das freie Feld. An einem Tag im März 1945 wird das benachbarte Verwaltungsgebäude der Zuckerfabrik bei einem Luftangriff dem Erdboden gleich gemacht. Am folgenden Tag zerstören Bomben die Wohnbaracken. Damit hat die Zwangsarbeit für die Frauen ein Ende.
Die Maschinenfabrik Anton Piller aus Osterode hatte im Frühjahr 1943 von der Stadt Northeim das Grundstück »Alte Kaserne« mit allen Gebäuden gemietet, um hier ein Zweigwerk zur Herstellung von Flugzeugteilen, Generatoren, Elektromotoren sowie Entlüftungsanlagen für Luftschutzbunker einzurichten. Von Anfang an plante die Firma den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte ein. Sie beschäftigte schließlich mindestens 65 Frauen und Männer aus der Sowjetunion, etwa 50 französische und einige belgische und niederländische Zivilarbeiter sowie 200 sowjetische Kriegsgefangene. In ihrem Moringer Zweigwerk ließ das Unternehmen 270 Insassen des dortigen Jugend-KZ für sich arbeiten.
Leokadia Adamkiewicz geht nach dem Einmarsch der US-Armee in Northeim nach Duderstadt. Sie lebt im Lager für »heimatlose Ausländer« (DP-Lager), heiratet den ehemaligen Nesselrödener Zwangsarbeiter Józef Respondek und bringt die gemeinsame Tochter Danuta zur Welt. Bis zum Juli 1946 warten sie auf eine Rückkehrmöglichkeit, dann verlässt die junge Familie Duderstadt in Richtung Czestochowa (Tschenstochau).