Im Gesundheitswesen kamen Zwangsarbeitende sowohl als Beschäftigte wie als Behandelte vor. In beiden Fällen blieben sie jedoch in der Objektrolle. Als grundsätzlich entrechtete Personengruppe trafen sie in Situationen persönlicher Not und Hilfsbedürftigkeit auf eine Medizin, die ihre ethischen Grundsätze häufig über Bord geworfen hatte: Nationalsozialistische Vorstellungen von maximaler »Verwertbarkeit«, »rassischer« Hierarchie und einem »gesunden Volkskörper« übten einen starken Einfluss aus. Von der konkreten Umsetzung dieser nationalsozialistischen Medizin hingen Gesundheit und Leben der Zwangsarbeitenden ab.
Zivile ausländische Zwangsarbeitende waren während ihres »Arbeitseinsatzes« in Deutschland grundsätzlich krankenversichert. Dies galt auch für die rechtlich vielfältig schlechter gestellten Polen und nach und nach für die Bürger der Sowjetunion. Unterhielten die Betriebe, bei denen die Ausländer arbeiten mussten, keine eigene Betriebskrankenkasse, erfolgte die Versicherung über die lokale AOK bzw. Landkrankenkasse (LKK).
Eine Auswertung der erhaltenen Versichertenkarten der AOK/LKK Hann. Münden zeigt, dass die rassistische Diskriminierung von Menschen aus Polen und der Sowjetunion die gesundheitliche Situation massiv beeinflusste: Sie erlitten die schlimmsten Verletzungen und Erkrankungen, wurden aber am kürzesten vom Arbeitsprozess freigestellt (»krankgeschrieben«), erhielten nur selten Krankengeld und wenn, dann sehr geringe Beträge. Mindestens in Bad Lauterberg, Duderstadt, Einbeck, Göttingen und Osterode existierten »Ausländerkrankenbaracken«, in denen vor allem osteuropäische Zwangsarbeitende von deutschen Patienten separiert wurden. Zwangsarbeitende aus Westeuropa erfuhren dagegen oftmals eine korrekte ärztliche Behandlung.
Als Beschäftigte wurden Angehörige Polens und der Sowjetunion auch in Institutionen des Gesundheitswesens zu den schlechtesten Bedingungen eingesetzt.
Die Karten enthalten mehrere deutliche Hinweise auf die Besonderheit dieses Versichertenverhältnisses, angefangen von den großen, unterstrichenen Vermerken »Russe« auf dem Kartenkopf über den Eintrag »R.« (für »Russe«) in der Spalte »Lohnstufe« (Kartenvorderseite) bis hin zur Bemerkung »Russe!!« in der Rubrik über Barleistungen (Kartenrückseite). Die Eintragungen weisen auf eine Krankschreibung für einen Tag (!) wegen eines Magengeschwürs am 26. September 1942 (Rückseite) und auf die Einlieferung in das Göttinger Klinikum und einen dortigen Aufenthalt vom 13. bis zum 27. Oktober 1942 (Vorderseite) hin.
Die Vermerke in der Rubrik »Barleistungen« behandeln die Forderung des »Arbeitgebers« nach Zahlung von Krankengeld; die Krankenkasse verlangt dafür den Nachweis erbrachter Verpflegungsleistungen mit einer Bestätigung des Ortsbauernführers. Die Krankheit Wladimir M.s und der Streit um das Krankengeld dürften der Grund dafür gewesen sein, dass sein »Arbeitgeber« Fischer sich wenige Tage nach der Rückkehr aus dem Klinikum von dem Zwangsarbeiter trennte.
Quelle: AOK Hann. Münden