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Deutsche Reichsbahn

Zwangsarbeit

Die Deutsche Reichsbahn (DR) war im Krieg stark von der Durchführung militärischer Transporte beansprucht. Darüber hinaus hatte sie entscheidenden Anteil an zwei Kriegsverbrechen: den Deportationen der jüdischen Bevölkerung und der als »Zigeuner« verfolgten Roma Europas sowie der Verschleppung der übrigen Zivilbevölkerung zur Zwangsarbeit.

Unglaubliche Mengen an Menschen und Material wurden durch Europa transportiert; 20.000 Züge täglich waren allein für Truppentransporte und Materiallieferungen unterwegs. Die enormen Anforderungen an die Eisenbahner führten zu massivem Arbeitsdruck. Ohne den Einsatz von Zwangsarbeitenden wäre die Maschinerie nicht in Gang zu halten gewesen.

In Südniedersachsen gehörte die Reichsbahn mit dem größten Betrieb Göttingens, dem Reichsbahnausbesserungswerk (RAW), und den Knotenbahnhöfen Kreiensen, Northeim und Göttingen zu den wichtigsten Arbeitgebern der Region. Zwangsarbeitende wurden in den Werkstätten, Bahnmeistereien, Personen- und Güterbahnhöfen, Schwellentränken und in Bauzügen eingesetzt und meist pauschal als »Bahnunterhaltungsarbeiter«, »Werkstättenarbeiter« oder »Hilfsschlosser«, »Hilfsdreher« usw. eingestuft. Die DR verschob ihr ausländisches »Personal« je nach aktuellem Bedarf rücksichtslos zwischen ihren einzelnen Dienststellen und Lagern.

13 junge Franzosen beispielsweise, die in ihrer Heimat bei der französischen Staatseisenbahn SNCF Dienst getan hatten, mussten im Reich zunächst als »Bahnunterhaltungsarbeiter« für die Bahnmeisterei Leinefelde arbeiten. 1943 wurden sie dann von dort als Aushilfsarbeiter zur Bahnmeisterei II Hann. Münden nach Hedemünden »umvermittelt«. Hier erhielten sie einen Stundenlohn von durchschnittlich 55 Reichspfennigen. René Herissant und Guy Bart fielen diesem Zwangsarbeitseinsatz zum Opfer, als sie am 13. Februar 1945 am frühen Abend in der Dunkelheit bei Reparaturarbeiten an der Werrabrücke von einem Zug überrollt wurden.

Arbeitsbedingungen

Zwangsarbeitende bei der Reichsbahn litten meistens unter schlechten Arbeitsbedingungen. Für die harte körperliche Arbeit bei oft weiten Arbeitswegen gab es selten genug zu essen. Dies galt auch für die beiden großen Ausbesserungsbetriebe in Südniedersachsen, das RAW Göttingen mit seinen zahlreichen regionalen Lagern und das noch im letzten Kriegsjahr von 245 Zwangsarbeitern aus der Sowjetunion und den Niederlanden hochgezogene Kraftwagenausbesserungswerk (RKAW) Hedemünden.

Ausbesserungswerke waren in den Kriegsjahren von zentraler Bedeutung innerhalb des Reichsbahn-Apparats. Daher erhielten sie bevorzugt Arbeitskräfte zugewiesen. Der Arbeitsdruck im RAW Göttingen war sehr hoch – schon für die deutschen Beschäftigten galt eine 63-Stunden-Woche bei Sonntagsarbeit und totaler Urlaubssperre – und die Arbeit sehr schwer: Eine Abrisskolonne musste die schmutzigste Arbeit erledigen, indem sie die Lok vollständig zerlegte. Mit jedem Schlag des Vorschlaghammers quoll der Dreck zwischen den Fingern hervor. Eine zweite Kolonne reinigte die stark verschmutzte Lokunterseite mittels einer giftigen Mischung aus sehr heißem Wasser und Sodalösung. Dieses »scharfe Wasser« verätzte die Hände und beim Einatmen auch die Lungen. Eine dritte Kolonne musste unter hohem Arbeitsdruck entlang der durch die Halle wandernden Lok den Zusammenbau vornehmen. Aufgrund dieser hektischen und giftigen Arbeit, ungenügender Beleuchtung, fehlender Schutzbekleidung, Unterernährung und zunehmender körperlicher Erschöpfung kam es zu Verletzungen und schweren Unfällen.

Roman Kornijenko musste in Göttingen und in Dransfeld für die DR arbeiten. Er erinnert sich: »Arbeitslohn haben wir nicht bekommen. Zum Essen haben wir fast immer Suppe aus der Steckrübe bekommen, ab und zu gab es Nudeln, Kartoffeln, nur an Wochenenden Bouletten aus Leber. (...) Wir hatten ständig Hunger (...). Nach der erschöpfenden Arbeit und dem ständigen Hunger blieben keine Kräfte für Spaziergänge. (…) Ich habe an Flucht gedacht, aber es gab keine Möglichkeit. Ein Mensch, der körperlich und geistig erschöpft war, weiter als ins KZ wäre er nicht gekommen.«

Erhöhter Arbeitsdruck im Zuge der Kriegsvorbereitung: Handzettel für Eisenbahner von 1937.

Quellen: Deutschland-Berichte der Sopade, 1937

Das RKAW Hedemünden wurde in den letzten Kriegsmonaten unter rücksichtsloser Ausbeutung von Zwangsarbeitenden hochgezogen.

»St. hat seit mehreren Wochen den rechten Zeigefinger verletzt, der bis heute keinerlei Besserung zeigt. Anscheinend besteht die Gefahr des Abfaulens.«
(Aus einem Schreiben des RKAW Hedemünden an den Bezirksleiter der Reichsbahn-Betriebskrankenkasse).

Dem Bürger der Sowjetunion Iwan Stezenko, der beim Aufbau des RKAW Hedemünden Zwangsarbeit leisten musste, wurde eine ärztliche Behandlung so lange verweigert, bis der verletzte Finger abzufaulen drohte.

Quellen: Stefan Schäfer, Hann. Münden