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Winkel-Zeiss Göttingen

Optische und feinmechanische Geräte für die Wehrmacht

Seit dem 19. Jahrhundert entwickelte sich Göttingen zu einem bedeutenden Standort der Feinmechanik-, Optik- und Messtechnikbranche. Zu den wichtigsten Betrieben gehörten die Sartorius-Werke AG, die Ruhstrat AG, Schneider Optische Werke und die Firma Winkel-Zeiss. Das 1857 von Rudolf Winkel gegründete Unternehmen, in das die Carl Zeiss Werke Jena 1911 als Hauptgesellschafter eintraten, stellte in enger Zusammenarbeit mit den naturwissenschaftlichen Bereichen der Universität Göttingen überwiegend Mikroskope und Präzisionsinstrumente her. Fünf Jahre vor Kriegsbeginn wurde es – wie viele weitere Betriebe in diesem Sektor – zu einem Wehrmachtsbetrieb und produzierte optische Präzisionsinstrumente für die Luftwaffe.

Nutzen aus der Umstellung auf die Rüstungsproduktion zogen sowohl die Industrie als auch viele Menschen. Für die einen bedeutete es regelmäßige staatliche Produktionsaufträge, für die anderen die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Mit steigenden Aufträgen meldeten die Betriebe ihren wachsenden Arbeitskräftebedarf beim Arbeitsamt Göttingen an. Dieses stellte ihnen ab 1939 zunehmend Frauen und Männer aus den überfallenen Ländern zur Verfügung.

Anfang der dreißiger Jahre waren bei Winkel-Zeiss kaum 200 Leute beschäftigt. Stetig stieg die Zahl der dort Beschäftigten über 360 im Jahr 1935 bis auf 651 Personen Ende 1944. Von diesen waren 47 Männer und drei Frauen aus Westeuropa und Polen sowie 117 Frauen aus der Sowjetunion Zwangsarbeitende. Am Ende des Krieges zählte die Firma zu den Gewinnern, folglich beschäftigte sie 1957 1.200 Arbeitskräfte.

Sowjetische Mädchen und Frauen, vor allem aus der Ukraine, kamen als »Ostarbeiterinnen«  in drei großen Lieferungen im Herbst 1942 zu Winkel-Zeiss. Sie wurden nummeriert, fotografiert und ihre Daten kamen auf Arbeitskarten. Auf den Fotos tragen die Mädchen und Frauen Sonntagskleider, Schmuck und teilweise schon das Abzeichen »Ost«. In der Fabrik bekamen sie eine Arbeitsjacke, Hose und Mütze. Sie arbeiteten in den Abteilungen Optik, Tele-Just, Mechanik, Dreherei, Verzahnung und in der Kantine. Außerdem benötigten die Firma oder möglicherweise die Privathaushalte der Betriebsführung Dienstfrauen für »Haus-Hofdienst«, wo vor allem die älteren Frauen Zwangsarbeit verrichteten. Für viele der im Betrieb beschäftigten Zwangsarbeiterinnen hieß es überdies oftmals »Arbeit nach der Arbeit«, da sie sonntags von Göttinger Familien als Putzfrauen »ausgeliehen« wurden.

Olga Aleksejewna S.

Am frühen Morgen des 20. Oktober 1942 kommen deutsche Polizisten ins ukrainische Dorf Makeschkino (Bezirk Nowo-Oskolsky), zerren etwa 20 Frauen, darunter die 17-jährige Olga Aleksejewna S., aus ihren Häusern und deportieren sie nach Göttingen.

»Am 9.11.1942 wurden wir 40 Frauen von einem Polizisten in die Firma R. Winkel in Göttingen geführt. Dort wurden wir in eine Reihe gestellt. Dann kam der Besitzer mit einer Übersetzerin. Er schickte uns in den 3. Stock.« Dort arbeitet Olga zusammen mit der 21-jährigen Aleksandra T. und der 22-jährigen Wera S. aus ihrem Heimatdorf acht Stunden und sechs Tage die Woche in der Abteilung Tele-Just. »Ich reinigte die Optik und die zwei anderen arbeiteten an den Werkmaschinen. Fast immer arbeitete ich in der Abteilung, ab und zu putzte ich den Hof. Was in der Firma hergestellt wurde, wusste ich nicht.« Sonntags arbeitet sie häufig in einem privaten Haushalt in der Stadt.

»Während wir in der Fabrik arbeiteten, bekamen wir zum Mittagessen die Suppe, die die Schweine nicht essen würden. Rüben und Kartoffeln, das alles war nicht geschält, nur durch die Maschine klein geteilt. Ich konnte das nicht essen. Unsere Kantine wurde aus einem Schweinestall gemacht, dort, neben den Schweinen, wurde ein Tisch aufgestellt für 40 Menschen. Die Menschen anderer Nationen aßen in der deutschen Kantine. (…) Ich hatte Magenschmerzen vor Hunger. Dann in der Fabrik, während des Mittagessens, gab mir eine deutsche Frau etwas zu essen. Sie arbeitete in der Küche und brachte etwas von den Resten für die Schweine. Sie verteilte uns diese Reste in kleinen Mengen. Dank ihr für ihre Güte.«

Nach der Arbeit wird Olga im Lager Schützenplatz untergebracht. »Das Lager war groß, ringsherum war ein Stacheldraht in drei Reihen. Es gab viele Baracken aus Holz. (…) Unser Lager war nur für Frauen, den Männern war der Eintritt von den Polizisten verboten worden. Es gab viele Frauen. (…) Das Lager wurde von der Polizei Tag und Nacht bewacht. Die Polizisten waren bewaffnet und hatten Hunde. (…) Das Leben bei uns im Lager war wie im Gefängnis.«

Zwangsarbeiterinnen bei Winkel-Zeiss Göttingen

In Haus und Hof dienten:
Ülija P., 34 Jahre
Natalija B., 46 Jahre

In der Dreherei arbeiteten:
Tatjana T., 17 Jahre
Maria T., 19 Jahre

In der Tele-Just-Abteilung dienten:
Wera T., 14 Jahre
Nadeschda J., 15 Jahre
Melanija J., 19 Jahre

In der Optik-Abteilung arbeiteten:
Alexandra Fedyrowa K., 18 Jahre
Nadija Andreewa H., 17 Jahre
Olga B., 18 Jahre