Auf dem Bauernhof begegneten sich Zwangsarbeitende und deutsche Familien auf engstem Raum. Vor allem Frauen hatten durch ihre Arbeit im Haushalt, mit den Kindern und bei der Pflege von alten und kranken Mitgliedern zwangsläufig Zugang zu den intimeren Bereichen des Familienlebens. Nicht selten sorgten sie dafür, dass die Familien funktionierten. Władyslaw Stankowski sollte bei der Feldarbeit aufpassen, dass sein Suizid gefährdeter Bauer sich nichts antat; Wiktorja Delimat übernahm die komplette Führung des Haushalts und betreute die Töchter wie eine Mutter.
Anders war es für Bronisława Haluch bei Bauer Göttinger in Ebergötzen, wo die Verhältnisse etwas klarer waren: Bronisława war die Arbeiterin und die junge Frau Göttinger ihre Chefin. Bernhard Göttinger entschied gleich zu Beginn, der Name Bronisława sei ihm zu umständlich. Er zeigte auf sie und sagte »Frieda«, dann auf seine Frau und sagte »Ida«. Ab dann galt sie im ganzen Dorf als »Göttinger Frieda«.
Irgendwann entschied Frau Jütte, eine herzkranke Witwe mit politischem Einfluss, dass die »Göttinger Frieda« nun für sie und ihre Tochter arbeiten sollte. Die Polizei holte Bronisława aus Göttingers Haus und brachte sie zur Frau Jütte, ohne dass sie ihre wenigen Sachen noch zusammenpacken konnte. Als Ida ihr am nächsten Tag ein Paket mit ihren Sachen überreichte, fehlte einiges an Kleidern. Daraufhin erklärte Ida, dass sie die Kleider von ihr und ihrer Schwester behalten würde. Bronisława vermisste auch ihr grünes Mohairkleid, das sie von einer Nachbarin fürs Holzhacken geschenkt bekommen hatte. Ida erwiderte: »Ich werde es behalten, weil du es nie bekommen hättest, wenn du nicht bei uns gewesen wärest.« Bronisława weinte, woraufhin Frau Jütte ihr fünf von ihren Kleidern schenkte. Von nun an zog Bronisława, wenn sie ins Dorf ging, eines dieser schönen Kleider an und machte absichtlich einen Umweg am Haus der Göttingers vorbei. »Und wenn Ida draußen war, bückte ich mich nach vorn und fummelte lange an meinem Schuh herum.«
Viele Zwangsarbeitende waren alleine in den Bauernfamilien und fühlten sich oft isoliert. »Ich hatte immer Heimweh, die ganze Zeit, und war zornig«, erinnert sich Bronisława. »Aber was hätten wir tun können. Wir haben nur gehofft, dass wir nächste Woche nicht mehr hin mussten. Wir waren sehr froh, als sie uns gesagt haben, es ist vorbei. Aber es hat sehr lange gedauert, sehr, sehr lange. Ab dem Tag bin ich wieder ‚Broni‘ geworden, ‚Frieda‘ habe ich dort in Ebergötzen gelassen.«