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Wäscherei Schneeweiß

»Bleiche an der Leine«

Im Frühjahr 1942 kam die 19-jährige Musikstudentin Galina Beloussowa zusammen mit ca. 20 weiteren jungen sowjetischen Zwangsarbeiterinnen aus der ukrainischen Region Charkow als Hilfsarbeiterin in den Göttinger Großwäschereibetrieb Schneeweiß. Galina gehörte zu einem der ersten Massentransporte mit sowjetischen Arbeitskräften, die Göttingen erreichten. Zu diesem Zeitpunkt überwogen bei der Rekrutierung von Arbeitskräften aus der Sowjetunion noch unterschiedliche Methoden des indirekten Zwangs, insbesondere der Entzug der Lebensgrundlage durch die deutsche Besatzungspolitik, vor dem später verschärft einsetzenden direkten Terror.

Die Firma Schneeweiß beschäftigte Frauen und Männer aus Frankreich, Kroatien, Serbien und den Niederlanden sowie mindestens 28 Frauen aus Polen, die größtenteils erst 1944 dorthin kamen. Natalie Oszga aus Lublin war mit 15 Jahren eine der jüngsten, aber auch die 67-jährige Viktoria Slerakowka musste die körperlich schwere Arbeit ertragen.

Von morgens bis abends wuschen und plätteten die Zwangsarbeiterinnen die Wäsche in industriellem Arbeitstempo. Durch das stundenlange Hantieren in heißer Seifenlauge und Bleichmittel schwollen ihre Hände an und die Haut verbrannte. Das andauernde Stehen in harten Holzpantinen in der überschwappenden Lauge sorgte für schlimme Fuß-, Bein- und Rückenschmerzen, die auch nach der Arbeit und im Schlaf nicht nachließen. Aufgrund der aufsteigenden Dünste des Gases verabscheuten die Frauen die Arbeit an der gefährlichen Dampfmangelmaschine, die Atembeschwerden und starke Verbrennungen verursachte. Hunger, Müdigkeit und körperliche Erschöpfung bewirkten ein Nachlassen der Konzentration, was bei dem vom Takt der Maschinen bestimmten Arbeitstempo häufig zu Verletzungen und Unfällen führte.

Für die Mittagspause holte der Angestellte Herr Schomberg mit einem alten Wagen, dem ein Esel vorgespannt wurde, Mittagessen aus der so genannten Russenküche auf dem Lohberg. 1941 baute die Firma eine betriebseigene Küche, die täglich Essen für 200-300 Personen ausgab. Dort wurden weitere Zwangsarbeiterinnen eingesetzt. In der Kantine aßen die ausländischen Zwangsarbeitenden in einer getrennten Abteilung von den deutschen Arbeitskräften.

Schneeweiße Wäsche waschen

Im Oktober 1882 nahm die Dampfwäscherei Schneeweiß direkt an der Leine in Göttingen ihren Betrieb auf. Die Firma wuchs kontinuierlich, bis sie im Jahr 1932 82 Personen beschäftigte und vier Autos, Filialen in Northeim, Goslar, Witzenhausen, Hersfeld und Eschwege und 20 Annahmestellen in Göttingen und der Region besaß. Kurz vor dem Krieg erhielt der Betrieb große Aufträge für Massenwäsche vom Heeres-Bekleidungsamt Hannover. Wagenweise kamen Mützen, Blusen, Hemden etc., die die Firmenräume füllten. Schneeweiß wurde als ein »kriegswichtiger Betrieb« eingestuft.

Als die Einberufung einer immer größeren Zahl von Beschäftigten das weitere Wachstum der Firma gefährdete, beantragte sie die Zuweisung von ausländischen Arbeitskräften. Insgesamt beschäftigte Schneeweiß über 50 Zwangsarbeitende. 1941 errichtete der Betrieb für sie ein eigenes Lager und eine Kantine –?bis dahin lebten sie in verschiedenen Göttinger Lagern. So gewann der Betrieb deutlich an Kontrolle über die Zwangsarbeitenden direkt vor Ort, Krankmeldungen waren vom Betrieb überprüfbar und Spätdienst leichter zu gestalten.

Im März 1944 wurde eine weitere Baracke auf dem Firmengelände errichtet, die der Unterbringung von osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen mit Kleinkindern diente. In diesem Mütter- und Kinderlager lebten überwiegend Polinnen, die zuvor auf Bauernhöfen in der Umgebung gearbeitet hatten, und ihre Kinder. Während die Säuglinge in der Baracke von zwei Zwangsarbeiterinnen versorgt wurden, mussten die übrigen Mütter schon zwei Tage nach der Entbindung zum Nutzen der Großwäscherei dort arbeiten. Nach etwa einem halben Jahr verließen die Frauen das Lager wieder – wenn ihre Kinder nicht schon vorher gestorben waren. Dieses Schicksal traf immerhin elf der insgesamt 28 Kinder aus dem Lager Schneeweiß.

In der Firmenchronik von 1948 zum 100-jährigen Jubiläum beschrieb Schneeweiß diese Zeit so: »Mit Umsicht und großem Geschick führte Herr Wilhelm Stichnoth das Unternehmen durch die schweren Jahre des Krieges.« Über das Kriegsende heißt es nur: »1945 beschlagnahmt«. Mitte der 1950er Jahre sah sich die Großwäscherei bereits wieder als die modernste der Region. Heute heißt sie Steritex KG, wäscht täglich über 50 Tonnen Textilien und wird – nach eigenen Angaben?– demnächst »das modernste und leistungsfähigste Unternehmen für textile Medizinprodukte in Europa sein.«

Wie Schneeweiß zu Zwangsarbeitenden kam

»Wir haben verlangt, wenn wir jemanden brauchten«, erinnert sich die Tochter des Inhabers über die Anmeldung des Bedarfs an Zwangsarbeitenden bei der DAF (Deutsche Arbeitsfront). »Dann wurde gesagt, wir prüfen das und wenn ein Transport kommt sagen wir Ihnen Bescheid und dann konnte ich zum Schützenplatz gehen. Ich hatte dann z.B. einen Schein für drei Leute und holte mir drei ab.«

Weiter beschreibt sie: »…ich ging zum Schützenplatz und da war so ein ganz großer Transport von Russen angekommen, und da ich die einzige Dame war, das andere waren Männer, hatte ich den Vortritt und durfte mir aus den angetretenen Reihen welche aussuchen. Und dann habe ich mir Junge ausgesucht und habe gesagt: ›Kommt her ihr beiden.‹«

Die Kennzeichnung der osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen

»…die hatten ihren weißen Kittel an, das war ein ganz einfacher Schnitt, den zogen sie einfach über den Kopf und dann hatten sie ihren Namen drauf gestickt, den Namen hatten sie einfach auf deutsch umgewandelt, so dass man im Betrieb gleich wusste, aha, das ist eine Russin«, beschreibt die Tochter des Inhabers.

Zum Zweck der Anwerbung von Arbeitskräften aus Osteuropa 1942 kamen professionelle Fotografen von der Deutschen Arbeitsfront (D.A.F.) in die Firma Schneeweiß, um eine Reihe von Propagandafotos anzufertigen, die die modernen, sauberen und fortschrittlichen Arbeitsbedingungen in Deutschland darstellen sollten. Zugleich sollten sie die deutsche Bevölkerung von anständigen Wohn- und Arbeitsverhältnissen der Zwangsarbeitenden überzeugen:

Abb. 1, 2, 3, 5: Betriebsküche Schneeweiß, vermutlich Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa, 1942.
Abb. 4: »Freizeit« bei Schneeweiß, 1942.
Abb. 6: Unterkunft für Zwangsarbeiterinnen bei Schneeweiß, 1942.

Quelle: Propagandafotos der Deutschen Arbeitsfront (D.A.F.) 1942, Städtisches Museum Göttingen