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Sowjetunion

Nadeshda Alexejewna Ryndina

Geboren im März 1937 in Moskau, lernt Nadeshda Alexejewna Ryndina den Krieg bereits als Kind kennen. Ihr Vater ist beim Militär und muss nach dem deutschen Überfall an die Front. Seit dem September 1941 gilt er als verschollen. Der kleinen Familie – Nadeshda und ihre im siebten Monat schwangere Mutter – wird nahe gelegt, die Kriegszeit über hinter dem Ural in Sibirien auszuharren. Ihre Mutter will aber zu ihren Eltern, Schwestern, Cousinen und Cousins in das Dorf Mazowo (Smolenskaja, Jelninskij) ziehen.

»Zwei Wochen nach unserem Umzug kamen die deutschen Soldaten in Mazowo an, dort waren sie bis März 1943. Im März 1943 wurde unser Dorf Mazowo völlig niedergebrannt.« Nadeshda ist gerade sechs Jahre alt geworden. Die gesamte Bevölkerung wird aus dem Dorf vertrieben und muss zu Fuß in einer Kolonne bis zur Eisenbahnstation Korobez gehen.

»Unterwegs wurde mein kleiner Bruder (er wurde im September 1941 geboren) schwer krank. Von Korobez hat man uns in mehreren Waggons über Weißrussland nach Deutschland transportiert. Meine Mutter musste mit meinem Bruder in einem Windfang bleiben (er hatte angeblich Typhus); als der Zug abfuhr, kamen die Soldaten, stießen meine Mutter zu uns ins Abteil und meinen kranken Bruder haben sie aus dem fahrenden Zug geworfen…«

Die Deportation führt durch Polen, für einen kurzen Aufenthalt ins Durchgangslager Lehrte bei Hannover, von dort nach Winsen und anschließend nach Göttingen, »wo wir den deutschen Bauern abgegeben wurden. Ich und meine Mutter arbeiteten bei einem Bauern bis Mai 1945 und wohnten nicht weit von der Stadt Göttingen.«

Im Sommer 1941 wurde die Region Smolensk zu einem zwischen deutschen und sowjetischen Truppen hart umkämpften Schlachtfeld. Für zwei Jahre besetzte die Wehrmacht die stark bewaldete Region, bis die Rote Armee das Gebiet im Herbst 1943 zurückeroberte. Mehrere tausend Kinder, Frauen und Männer kamen ums Leben oder wurden zur Zwangsarbeit ins Reich verschleppt, mehr als 108.000 Soldaten verloren ihr Leben und hunderttausende wurden gefangen genommen. Die deutsche Wehrmacht zerstörte die Region und darin über hundert industrielle Betriebe fast vollständig. Nur 7% der Wohngebiete blieben übrig.

Die Frauen und Männer aus der Sowjetunion stellten im Kreis Göttingen nach den aus Polen Verschleppten die größte Gruppe unter den Zwangsarbeitenden. Mit ungefähr 50% war hier – wie bei Zwangsarbeitenden aus Jugoslawien – der Frauenanteil besonders hoch.

Nikolai Timofejewitsch Subanj

Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Sie führte einen erbarmungslosen Kampf gegen die Soldaten der Roten Armee und gegen die Zivilbevölkerung. In kurzer Zeit ließ sie 2.000.000 sowjetische Kriegsgefangene verhungern. Menschen wurden in Massen von der Straße weg verhaftet und zur Zwangsarbeit ins Reich verschleppt. Im Jahr 1942 traf dies wöchentlich etwa 40.000 Menschen. Insgesamt mussten etwa 2.750.000 Zivilisten als sogenannte Ostarbeiter Zwangsarbeit in Deutschland leisten.

Die »Ostarbeiter« standen auf der untersten Stufe der NS-Ausländerhierarchie. Ihre Arbeit galt als Beute des rassistischen Vernichtungskrieges, den die Wehrmacht gegen die UdSSR führte. Lange Zeit wurden sie abgesondert von den anderen Zwangsarbeitenden in eigenen, oft mit Stacheldraht umzäunten Lagern untergebracht. Ihre Ernährung und die hygienische Situation waren besonders schlecht, Krankheiten und Todesfälle daher sehr häufig.

Nikolai Timofejewitsch Subanj ist 17 Jahre alt und hat die 8. Klasse der Mittelschule abgeschlossen. Er lebt bei seiner Mutter, als ihn am frühen Morgen des 1. September 1942 zwei einheimische Polizisten aus dem Bett holen und in die Stadthalle der Bezirksstadt Karlowka im Gebiet Poltawski mitnehmen. Hier trifft er auf viele andere Verhaftete. Sie werden medizinisch untersucht und dann in Güterwaggons gesperrt und mit einer kurzen Unterbrechung für eine weitere ärztliche Untersuchung in Ljwow (Lemberg) nach Düsseldorf gefahren. Nach einem Quarantäneaufenthalt wird Nikolai in ein Lager nach Güntersen verschoben. »Wir wurden zur Arbeit in einer Kolonne unter Bewachung geführt. Wir waren Sklaven. Uns wurden keine Firmen, keine Arbeitgeber genannt. Wir waren Sklaven ohne Rechte. Uns konnten sie schlagen und hungern lassen.« Sie müssen Gräben für eine Ferngasleitung der Firma Mannesmann ausheben. »Nach zwei Wochen sind wir zu dritt weggelaufen und nach sieben Tagen wurden wir verhaftet und in das Gefängnis gesteckt.«

Nach vier Wochen Haft im Leipziger Gefängnis arbeitet Nikolai Subanj in den Leipziger Flugzeugwerken Erla und anschließend in der Maschinenfabrik Bach und Winter im sächsischen Limbach. Nur einen Monat nach der Befreiung wird er zum sowjetischen Armeedienst in Dresden einberufen.