Textgröße:  A   A+ A++

Schwere Arbeit

Wiktorja Delimat

Vom Bauernhof ihrer Familie im polnischen Dorf Nienaszów aus führt Wiktorja Delimats Deportationsfahrt, immer in Viehwaggons, über ein Durchgangslager zu einer großen Munitionsfabrik im Reich. Wiktorja weiß nicht einmal, wo sie ist. Sie muss am Band arbeiten, ist barfuß, hungert, darf nicht sprechen und hat Angst vor der allgegenwärtigen SS. Menschen neben ihr sterben, zu Tode gequält. Zweieinhalb Jahre dauert dieses Martyrium.

Eines Nachts im Herbst 1942 gibt es schwere Explosionen, und Wiktorja kann zusammen mit vielen anderen fliehen. Kurz vor Erreichen ihrer Heimat wird sie von einer Reiterpatrouille aufgegriffen – alles beginnt von vorne. Mit LKW und in Viehwaggons der Reichsbahn geht es über Durchgangslager nach Südniedersachsen. Zusammen mit etwa 60 anderen polnischen Mädchen wird Wiktorja in Bussen nach Stockhausen gefahren und in den Saal der Gastwirtschaft Küster gesperrt. Sie muss in der Zuckerfabrik Obernjesa arbeiten.

Als die Mädchen dort nicht mehr gebraucht werden, verteilt das Arbeitsamt Göttingen sie auf landwirtschaftliche Höfe im Kreis. Die Bauern kommen in die Zuckerfabrik, versammeln sich zusammen mit den Beamten des Arbeitsamts und den Polinnen in einem großen Raum und nehmen die ihnen zugeteilten Mädchen in Empfang. Viele sind mit der Auswahl unzufrieden. Wiktorja kommt nach Ebergötzen zum Bauern Gustav Bachmann.

Wiktorja hat Glück: Bei Bachmanns wird sie gut aufgenommen. Sie erhält eine eigene Kammer, bekommt neue Kleidung und darf trotz des Verbots der Nazis mit allen zusammen am selben Tisch die Mahlzeiten einnehmen. Und sie trifft dort auf drei weitere Polinnen und Polen, mit denen sie sich in ihrer Muttersprache unterhalten kann.

Wiktorja ist für den Haushalt und die Betreuung der beiden kleinen Kinder zuständig. Zusätzlich arbeitet sie in der Landwirtschaft: Sie melkt die Kühe, füttert das Vieh, schlachtet, spannt den Kutschwagen an, erntet Gemüse. Im Sommer steht sie oft morgens um 3 Uhr auf, so dass Gustav Bachmann, wenn er sie um 5 Uhr vom Erbsenpflücken kommen sieht, fragt: »Gehst du ins Bett oder stehst du auf?« Wiktorja arbeitet bis zu 17 Stunden am Tag, bis 1945 die US-Truppen ins Dorf kommen.

Laufende Nummer 409 in einer in der Nachkriegszeit vom Landkreis Göttingen angefertigten Aufstellung ausländischer Beschäftigter in der Landwirtschaft zwischen 1939 und 1945: Wiktorja Delimat. Das Ende ihrer Zwangsarbeit bei Bachmanns in Ebergötzen war der Verwaltung offenbar nicht bekannt.

Quelle: ITS Bad Arolsen, LK Göttingen Ordner 400 S. 19

 

Władysław Stankowski

Władyslaw Stankowski arbeitet ähnlich hart wie Wiktorja Delimat. Als er 1940 bei einer Razzia im südpolnischen Chronów gefangen wird, ist er 20 Jahre alt und Absolvent einer landwirtschaftlichen Fachschule. Über Kassel wird er auf einen kleinen landwirtschaftlichen Hof in Dransfeld gebracht.

»Da musste ich jeden Morgen eine Milchkanne auf den Buckel nehmen mit so einem Holzgestell, und die Frau fuhr mit dem Fahrrad, da muss ich jeden Morgen hin und her drei, vier Kilometer auf die Weide da unten zum Melken, und abends nochmal. Da war man schon einmal kaputt.«

Nach der Ernte wird Władyslaw auf Beumlers »Weißen Hof« in Uschlag versetzt. Im Winterhalbjahr sieht sein Arbeitsalltag dort so aus:

  • 5 Uhr: Aufstehen, Arbeit im Kuhstall;
  • 6.30 Uhr: Kaffeetrinken; anschließend 10 km Fußweg in den Wald;
  • 9-16 Uhr: Holzhauen bei jedem Wetter, ohne vernünftige Schuhe, anschließend Rückweg;
  • 18.30-20 Uhr: Arbeit im Kuhstall.

Danach fällt der »Wades« todmüde ins Bett in der ungeheizten Kammer, wo der Reif von innen an den Fensterscheiben klebt.

Im Sommer gibt es andere schwere Arbeiten zu tun; zum Beispiel müssen die schweren Säcke zur Dreschmaschine geschleppt werden. Weil die deutschen Männer im Krieg sind, muss »der Pole« diese Arbeiten für alle Bauern im Dorf machen.

»Vier Wochen Säcke getragen bei der Dreschmaschine, von einem Bauern zum anderen, dann waren keine Leute da, und das war nicht wie heute mit einem Gebläse! Bis oben auf den dritten Stock musste ich die schleppen! Na, was haben die uns ausgenommen! Und dann für 25 Mark im Monat!«

Anders als Wiktorja Delimat darf Władyslaw Stankowski nicht mit seiner Bauernfamilie am selben Tisch die Mahlzeiten einnehmen: »Und dann durfte ich nicht am Tisch essen; wir mussten alle in der Küche essen. So raffiniert, wie die Bauern waren! Aber ich kann mich nicht beschweren hier, die Leute waren gut.«

Laufende Nummer 8 in der Aufstellung der am 19.7.1940 im Bezirk der Arbeitsamt-Nebenstelle Hannoversch Münden »verteilten poln. Landarbeiter«: Władyslaw Stankowski

Quelle: Kreisarchiv Göttingen, LK HMÜ 424